Bodo Ramelow: Wir brauchen mehr Gerechtigkeit!

Gute Bildung, bessere Mobilität mit Bus und Bahn, zukunftsfähige Arbeitsplätze in der Industrie und mehr Engagement für Klimaschutz und unsere Kinder – ein Interview mit unserem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (DIE LINKE).

LinksBlick: Die Bundesregierung hat Investitionen in Milliardenhöhe vor allem in Ostdeutschland in unsicheres Fahrwasser gebracht. Sie haben das deutlich kritisiert und mehr Geld für Bildung, Busse und Bahnen und zukunftsfähige Industrie-Arbeitsplätze gefordert.  

Ramelow: Die Entscheidung von Karlsruhe war absehbar. Leider hat sich die Bundesregierung auf sie in keiner Weise vorbereitet. Denn das ‚Sondervermögen‘ der Regierung hat gegen die ‚Schuldenbremse‘ verstoßen. Ich habe schon 2009 im Bundestag kritisiert, dass die ‚Schuldenbremse‘ der falsche Weg ist. Ich bin Kaufmann und weiß: Was in den politischen Debatten als Schulden abgetan wird, das sind Investitionen in die Zukunft. Geld für gute Schulen und gute Bildung, das sind doch keine Schulden, sondern notwendige Investitionen in die Zukunft unserer Kinder! Die Schuldenbremse verhindert grade die angekündigten 50 Milliarden Euro an Investitionen in die neue IT-Industrie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und indirekt auch hier in Thüringen. Wir brauchen aber eine Offensive für eine eigene Computer-Chip-Industrie, denn wir haben die Folgen bei den Thüringer Automobil-Zulieferern gesehen, als keine Chips mehr geliefert werden konnten. Hier nun zu sparen, wie es die Bundesregierung tut, das ist falsch! Wir brauchen in Ostdeutschland jetzt Investitionen in zukunftsfähige Technologie, in nachhaltiges Wirtschaften und in klimaneutrale Industrie und erneuerbare Energien – sonst werden wir in einer Sackgasse landen! Das ist wichtig auch für unsere Betriebe und Arbeitsplätze hier in Thüringen. Wenn ein großes Thüringer Unternehmen Geld in Windkraft stecken will, um seine Stromversorgung auf eigene Beine zu stellen, aber von CDU und FDP ausgebremst wird, dann ist das ein Problem für uns alle hier in Thüringen.

LinksBlick: Auch in bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr, in Busse und Bahnen müsste mehr Geld gesteckt werden, oder?

Ramelow: Ja! Wir müssen als Politiker und Politikerinnen die Fragen von guter öffentlicher Infrastruktur wieder in den Mittelpunkt stellen. Jahrzehntelang wurde beispielsweise bei der Bahn gespart. Heute sind die Schienen und die Infrastruktur marode. Das ist auch eine direkte Folge der Privatisierung der Bahn. Wenn wir über Geld für Busse und Bahnen reden dürfen wir auch die volkswirtschaftlichen Werte nicht ausblenden, die wir durch Investitionen schaffen und erhalten. Die Bahn gehört nicht an die Börse! Sie soll nicht die Aufgabe haben, weltweit Unternehmen aufzukaufen und Profit zu machen, sie soll Verkehr organisieren – das ist ihre Aufgabe. Der Markt regelt das ganz offensichtlich nicht im Sinne der Menschen. Also muss es heißen: Bürgerbahn statt Börsen-Bahn!

LinksBlick: Was heißt das konkret für Verkehrspolitik?

Ramelow: Menschen müssen mobil sein können. Dazu brauchen wir gerade im ländlichen Raum vorerst noch Autos und Individualverkehr. Dennoch wissen wir: In Zukunft werden wir anders mobil sein müssen. Aber jeder muss die Möglichkeiten haben, von seinem Dorf in die nächste Stadt und wieder nach Hause zu kommen. Der Weg zum Arzt, zur Arbeit und Schule, zur Bank oder Post, das muss bis in den letzten Weiler funktionieren. Wir brauchen verbundene Angebote, von individueller Elektromobilität über die engere Verzahnung von Bussen und Bahnen, Bürgerbusse, Carsharing, Mitfahrbänke oder Anrufsammeltaxis für die letzte Meile bis zur Haustür. Für die Mobilitätswende brauchen wir Investitionen. Bezahlbar, erreichbar und jederzeit verfügbar – das muss unsere Antwort in der Verkehrspolitik sein. Hier in Thüringen kämpfe ich zum Beispiel dafür, die Höllental-Bahn wieder in Betrieb zu nehmen. Das sind drei Kilometer Strecke zwischen Thüringen und Bayern und würde mit einem Schlag dafür sorgen, dass jeden Tag 300 LKW weniger durch die Orte fahren würden – das wäre eine riesige Entlastung für die Umwelt und die Menschen.

LinksBlick: Am Ende reden wir hier über Fragen von Gerechtigkeit…

Ramelow: Das stimmt. Wir müssen über Gerechtigkeit in der Gesellschaft reden. Was ist denn das für ein Zustand, wenn heute Krankenhäuser an der Börse gehandelt werden? Was ist das, wenn Gesundheit darauf ausgerichtet wird, Profite zu organisieren und nicht gute Versorgung in der Region? Es ist also nicht egal, wem die Krankenhäuser gehören oder wem die großen Wohnungsbestände gehören. Darum müssen wir auch darüber reden, wie wir Wohnungen wieder stärker in öffentliches Eigentum holen. Hier in Gera haben wir zum Beispiel als Land eine Wohnungsbaugesellschaft gekauft, als die Gefahr drohte, dass die Wohnungen an einen Hedgefonds gehen. Hier kann in Zukunft die Grundlage für eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft liegen, um günstige Mieten zu sichern.

LinksBlick: Sie fordern eine andere Finanz- und Haushaltspolitik, damit Städte und Landkreise, das Land und der Bund wieder in die Lage kommen, Politik für die Interessen der Mehrheit der Menschen zu machen.

Ramelow: Ja, wir müssen über die unverschämten Reichtümer einiger Weniger und die ungerechte Verteilung von Vermögen und Eigentum in der Gesellschaft reden. Dabei geht es weder um Neid, noch um Enteignung, aber um Chancengleichheit und eine gerechte Besteuerung, damit die Chancengleichheit ermöglicht werden kann. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel einige große Digitalkonzerne in Europa keine oder kaum Steuern zahlen. Da müssen wir europaweit Regelungen finden, damit dieser Skandal ein Ende hat!

LinksBlick:Sie haben zuletzt immer wieder gefordert, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, schneller arbeiten dürfen. Warum?

Ramelow: Wir können uns heute nicht den Luxus erlauben, auf Arbeitskräfte zu verzichten. Wir brauchen in den Betrieben grade jede Hand! Viel zu viele Menschen sind insbesondere in den 1990er Jahren aus Thüringen abgewandert und in den Westen gegangen. Heute fehlen uns diese Menschen an allen Ecken und Enden. Bis 2040 werden wir in Thüringen einen weiteren Verlust von fast 24 Prozent der Erwerbstätigen haben, weil die Menschen in den verdienten Ruhestand gehen – und wir haben bisher nur einen Bruchteil, die in den Jobs nachfolgen. Statt über Geflüchtete zu hetzen, müssen wir dafür sorgen, dass die Leute in Arbeit kommen! Dafür braucht es einen Spurwechsel in der Migrationspolitik: Wer als geflüchteter Mensch hergekommen ist, muss schnell das Recht haben, sein Leben mit den eigenen Händen zu verdienen. Und wer bei uns längst in Lohn und Brot steht, dem müssen wir auch eine geordnete Bleibeperspektive bieten. Wir brauchen für eine gute Zukunft hier in Thüringen heute jede Hand und jeden Menschen mit seinen und ihren Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt.

LinksBlick: Welche weiteren Ideen gibt es für die Entwicklung am Thüringer Arbeitsmarkt?

Ramelow: Wir brauchen neue Antworten. Dazu gehören attraktivere Ausbildungsmöglichkeiten hier im Land, damit niemand mehr in den Westen oder in andere Bundesländer ausweichen muss. Außerdem müssen wir auch junge Menschen zurückholen. Wir bilden ja selbst aus oder können über gute und günstige Azubi-Wohnheime unterstützen. Wir brauchen auch starke Gewerkschaften, um bessere Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und auch um in Zukunft für höhere Renten zu sorgen. Es ist richtig, wenn Beschäftigte für ihre Rechte und für gute Tarifverträge streiken! Denn Tarifverträge bedeuten mehr Gerechtigkeit.

LinksBlick: Und noch ein Blick auf das Thema Bildung, das viele Menschen beschäftigt.

Ramelow: Unsere Leitlinien sind klar: Beitragsfrei von der Krippe bis zum Meister oder Master. Niemand darf nach seiner Ausbildung oder dem Studium auf einem Schuldenberg sitzen und niemand soll überlegen müssen, ob der Kindergartenplatz bezahlbar ist. Wir brauchen längeres gemeinsames Lernen, also konkret: Mehr Gemeinschaftsschulen! Die aktuellen Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen doch eindeutig, dass alle Kinder die gleichen Chancen bekommen müssen. Ich kämpfe um die Abschaffung von Kindergartenbeiträgen bundesweit, so wie wir das hier in Thüringen bereits mit den ersten zwei beitragsfreien Jahren machen. Und wir brauchen überall die Möglichkeit von bis zu zehn Stunden Betreuungszeit für alle Kinder. Für unsere Kinder und unsere Gesellschaft ist gute Bildung doch eine wichtige Zukunftsressource. Dafür müssen wir stärker in die Bildung unserer Kinder investieren. Bildung darf daher nicht allein in der Verantwortung der Bundesländer liegen. Hier muss vor allem finanziell der Bund stärker einsteigen. Lasst uns gemeinsam mehr für die Kinder und Familien tun und für alle die Chance auf einen guten Lebensweg ermöglichen!