Vor 100 Jahren … 12. April 1925 – Eröffnung des Kinderheims der Roten Hilfe in Elgersburg
Im Herbst 1924 beschloß das Zentralkomitee der Internationalen Roten Hilfe IRH in Moskau [im Russischen abgekürzt als „MOPR), möglichst in Deutschland ein Kinderheim zu schaffen, gedacht für Kinder politischer Gefangener. Dieses sollte sich möglichst „in idyllischer Lage“ befinden, „damit die Kinder wirkliche Erholung in freier Natur finden könnten“. Nach dem Barkenhoff-Heim im niedersächsischen Worpswede wurde man auch im Thüringischen Elgersburg fündig. Der Ort hatte damals 1.400 Einwohner/innen, davon waren 350 KPD-Mitglieder. Im Gemeinderat hatte die Partei eine sichere Mehrheit. Insbesondere der KPD-Gemeinderat Karl Hager und auch Bürgermeister Albrecht Müller trieben das Projekt „Kinderheim“ voran.
Mitglieder der thüringischen Landesregierung versuchten vergeblich, den Kauf und die vorgesehene Nutzung zu verhindern: Am 7. Februar 1925 von einem Kaufmann die oberhalb Elgersburgs am Ortsausgang gelegene „Villa Bauer“ –benannt nach ihrem ersten Besitzer - durch die Rote Hilfe erworben.
Binnen weniger Wochen und mit großartiger Unterstützung von Einwohner/innen aus Elgersburg und der Umgebung erfolgte der Umbau der Villa. Bereits Anfang April reisten die ersten rund 30 Schützlinge an, insbesondere Kinder von politischen Arbeiter-Häftlingen und politisch Verfolgten. Trotz erneuter massiver Versuche der Landesregierung Thüringens, die feierliche Eröffnung zu verbieten, kamen am 12. April 1925, dem Ostersonntag, aus dem Umland „erhebliche Menschenmengen“ nach Elgersburg. Aus Geraberg kommend, führte das Musikkorps der Arbeiterturnvereine und des Roten Frontkämpferbundes den Zug von fast 3000 Menschen an. Sie nahmen gemeinsam mit vielen Elgersburgerinnen und Elgersburgern an der Eröffnungskundgebung für das Heim teil. Der Abgeordnete Wilhelm Pieck sprach und eröffnete das Kinderheim. Weitere Reden hielten der Generalsekretär der Roten Hilfe Deutschlands, Jakob Schloer, ein schwedischer Vertreter der IRH sowie Redner der Roten Hilfe.
Unterhalten wurde das sogenannte „MOPR-Heim“ durch Spenden und vor allem durch viele freiwillige Helferinnen und Helfer aus Elgersburg, dem Umland und ganz Deutschland. Die zum Teil unterernährten und verwahrlosten Kinder wurden pädagogisch und medizinisch betreut, erhielten – manche von ihnen erstmals in ihrem Leben – regelmäßig Essen, Kleidung, ärztliche Betreuung und Unterricht, hatten viel Freizeit. Dafür wurde ein Rahmentagesplan gemeinsam mit den Kindern erarbeitet und über die Jahre verbessert.
Dem ersten Durchgang von rund 10 Wochen folgten weitere. Rund 200 Kinder waren es bis zum Sommer 1926. Der Andrang war groß, so daß bereits im April 1926 ein Erweiterungsbau mit Baderäumen, Spielzimmern und Tagungsraum erfolgte. Ab 1927 konnten sich auch österreichische und bulgarische Kinder hier erholen.
Mit tatkräftiger Unterstützung des „Kuratoriums für die Kinderheime der Roten Hilfe Deutschlands“ (u. a. mit Clara Zetkin als Vorsitzende der IRH, Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Gustaf Gründgens, Heinrich Zille …) konnte das MOPR-Heim fortbestehen. Jedoch wurden die politischen und finanziellen Möglichkeiten für Rote Hilfe ab 1927/28 immer schwerer, verstärkt durch die Weltwirtschaftskrise. Die Zahl der Kinder, die das MOPR-Heim nutzen durften, ging spürbar zurück. Daher wurde ab Herbst 1927 das Heim erstmals und später zunehmend für Schulungs- und Bildungszwecke der Thüringer KPD genutzt. Die thüringische Landesregierung nahm das 1931 zum Anlaß, die Erlaubnis zur Aufnahme von Kindern zu widerrufen. Dagegen setzte sich die Rote Hilfe vor Gericht erfolgreich zur Wehr.
Schluß war damit jedoch mit der Machtergreifung der Nazis 1933. Haus und Einrichtung wurden beschlagnahmt. Es wurde durch das Thüringer Innenministerium der Hitlerjugend zur „freien Benutzung“ überlassen und ab sofort als „HJ-Führerschule“ mißbraucht. Während des 2. Weltkrieges wurde die Immobilie der Kriegsmarine übergeben und für „Marinekinder“ genutzt.
Nach Kriegsende übernahm zunächst die Volkssolidarität Ende 1945 das Haus. Wiederum waren es Karl Hager und Jakob Schloer, die dessen Wiedereinrichtung als Kindererholungs- und Bildungsheim vorantrieben. Mit Erfolg: In das wieder „MOPR-Heim“ genannte Haus kamen ab Mitte 1946 vor allem Kinder berufstätiger Mütter, deren Väter gefallen oder noch in Kriegsgefangenschaft waren, sowie Umsiedlerkinder. Bald darauf wurden hier über längere Zeiträume auch Kinder betreut, deren Eltern oder alleinerziehende Mütter sich beruflich im In- oder Ausland qualifizierten.
1949 übernahm die Landesleitung der SED das Haus, 1952 sie SED-Bezirksleitung Suhl. Diese beschloß 1955, als die Anzahl der zu betreuenden Kinder abnahm, das MOPR-Heim zu einem zentralen Erholungsheim für SED-Funktionäre, später auch für ausländische Nomenklaturkader „befreundeter Parteien“ zu machen. Die allgemeine Öffentlichkeit hatte nun keinen Zutritt mehr. Gerüchte über allgemeinen Luxus im Haus machten sich breit. Die Öffentlichkeit könnte sich mit dem nahenden Ende der DDR 1989 allerdings selbst davon überzeugen, daß dies nicht stimmte.
Im Juni 1990 kam das Haus, nun Schulungsheim und öffentliches Hotel, unter treuhänderische Aufsicht der „Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (UKPV). Diese strich zwar alle Erlöse aus Vermietung und Verpachtung ein, steckte aber keine Mark in die dringend notwendige Instandhaltung und Pflege der Immobilie.
Am 18. Juli 1995 kam es zu einem „Vergleich“ zwischen der PDS und der „Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderausgaben“ BVS. Das Haus in der Schmücker Straße in Elgersburg wurde als eine von insgesamt 4 der bisherigen rund 1.800 der SED gehörenden oder von ihr verwalteten Immobilien an die PDS „einwandfrei rechtsstaatlich erworben“ übertragen. In deren Auftrag verwaltet die im November 1991 gegründete VULKAN Gesellschaft für Grundbesitz mbH das Haus.
Der Verfall des Hauses war jedoch in den 5 Jahren „Treuhandschaft“ so weit fortgeschritten, daß verschiedene Nutzungskonzepte (Gewerkschaftshaus, Schulungsheim, Wanderherberge …) verworfen wurden. Keiner der möglichen Partner war willens oder in der Lage, das Haus und Grundstück angemessen zu sanieren. Die VULKAN mußte einen hohen Kredit aufnehmen. Nach aufwendigen Restaurierungs- und Erweiterungsmaßnahmen erfolgte 1998 die Neueröffnung des Hauses als „Hotel Am Wald“.
Heute steht dieses 3-Sterne-Hotel sowohl Urlauberinnen und Urlaubern, Wanderfreudigen und Dienstreisenden genauso zur Verfügung wie auch für Feiern aller Art und Kegelabende der breiten Bevölkerung - aber natürlich auch für Schulungszwecke der Partei Die Linke und Ihrer Fraktionen.
An die wechselvolle Geschichte im Haus, in dem heute vor genau 100 Jahren der spätere DDR-Präsident Wilhelm Pieck ein Kinderheim der Roten Hilfe eröffnete, erinnert seit 2009 eine liebevoll eingerichtete Ausstellung im Haus. Das „Hotel am Wald“ ist eine Reise wert. Davon konnte ich mich bei vielen Aufenthalten in den vergangenen rund 30 Jahren selbst überzeugen und kann es nur empfehlen.
Holger Hänsgen, Landesschatzmeister Die Linke Thüringen
Mitgesellschafter der „Vulkan Gesellschaft für Grundbesitz mbH“ Berlin